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Foto: Roman Samborskyi/Shutterstock.com
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Nachdem unsere Redaktion von mehreren Kosmetikerinnen Berichte über unerwünschtes, belästigendes Verhalten der Kundschaft hörte, entschieden wir, das Thema gemeinsam mit Kosmetikerin Fabiola Risi und der Fachstelle für Gleichstellung der Stadt Zürich aufzugreifen. Denn bei Belästigung am Arbeitsplatz kommen immer wieder Fragen auf: Was fällt alles darunter? Wie geht man damit um? Welche Pflichten hat der Arbeitgeber?

Die Behandlung eines Kunden hinterlässt in Ihnen ein ungutes Gefühl. Das Gespräch nahm eine unangemessene Wendung, wurde zu intim, zu aufdringlich. Erst hinterher wird Ihnen klar, Sie hätten klare Grenzen aufzeigen sollen. Aber wie? Schliesslich handelt es sich um einen guten Kunden, den Sie nicht vergraulen wollen. Ausserdem war es doch gar nicht so schlimm – es waren doch nur ein paar Sprüche, nichts Ernstes – oder? Vielleicht kennen Sie diese Situation. Zunächst einmal wichtig zu wissen: Als sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz gilt jede unerwünschte Verhaltensweise mit sexuellem Bezug, die sich in verschiedenen Formen zeigen kann: anzügliche Bemerkungen über sexuelles Verhalten und Vorlieben, scheinbar zufällige Körperberührungen und aufdringliches Verhalten. Weitere Formen sind Annäherungsversuche, die mit Vorteilen oder dem Androhen von Nachteilen einhergehen, pornografisches Material im Arbeitsumfeld – und nicht zuletzt tatsächliche sexuelle und körperliche Übergriffe und Nötigung. Verhaltensweisen, die nicht unbedingt einen sexuellen Bezug aufweisen, eine Person jedoch aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer Geschlechtsidentität herabwürdigen, fallen ebenfalls darunter (sexistische Belästigung). Dazu gehören auch sexistische Sprüche und Witze, peinliche Bemerkungen über das Aussehen, den Geschlechtsausdruck oder die sexuelle Orientierung.

Belästigendes Verhalten ist immer unerwünscht

Sexuelle Belästigung unterscheidet sich von auf Gegenseitigkeit beruhender Sympathie oder einem freundschaftlichen Umgang am Arbeitsplatz. Sie ist von Seite der Betroffenen immer unerwünscht und bedeutet eine Missachtung ihrer persönlichen Grenzen. Diese Grenzen definiert jede Person für sich. Für die Beurteilung, ob es sich um sexuelle Belästigung handelt, gibt es eine einfache, allgemeine Regel: Ausschlaggebend ist das Empfinden der betroffenen Person in der konkreten Situation und wie eine oder mehrere Verhaltensweisen bei ihr ankommen – und ob sie diese als erwünscht oder unerwünscht empfindet. Dabei ist es nicht von Belang, von wem das belästigende Verhalten ausgeht: von Mitarbeitenden, Vorgesetzten oder der Kundschaft. Sexuelle Belästigung kann zudem auch von nicht unmittelbar betroffenen Mitarbeitenden als solche aufgefasst werden, denn sie fördert ein sexualisiertes Betriebsklima.

Pflichten des Unternehmens

Sexuelle und sexistische Belästigung am Arbeitsplatz ist verboten. Die Arbeitgebenden sind dazu verpflichtet, ein belästigungsfreies Klima am Arbeitsplatz zu schaffen (Prävention) und aktiv gegen sexuelle Belästigung vorzugehen (Intervention). Diese Sorgfaltspflichten ergeben sich aufgrund verschiedener Erlasse (Gleichstellungsgesetz, Arbeitsgesetz, Obligationenrecht). Betroffene können immer verlangen, dass Arbeitgebende eingreifen und belästigendem Verhalten ein Ende setzen. Eine erhöhte Sorgfaltspflicht gilt zudem jüngeren Mitarbeitenden, die in den meisten Fällen häufiger von Belästigungen betroffen sind. In der Regel bauen sich Situationen, in denen es zu Grenzüberschreitungen kommt, langsam auf. Es ist wichtig, dass Unternehmen bereits im frühen Stadium reagieren und belästigendes Verhalten unterbinden, denn Erfahrungen zeigen, dass auf das scheinbar Harmlose das Deftige folgt: Es fallen die härteren Sprüche, und es kann zu physischen Übergriffen kommen. Vorgesetzte haben zudem eine Vorbildfunktion. Von grosser Bedeutung ist also, dass sie feine Dynamiken und Anzeichen frühzeitig erkennen und insbesondere auch ihr eigenes Verhalten reflektieren.

Verhaltenstipps für Betroffene

Im Beauty-Bereich gehört der physische Kontakt zu anderen Menschen zum Arbeitsalltag der meisten Angestellten. Sie und ihre Kundschaft stehen einander körperlich nahe. Anzügliche Bemerkungen oder Berührungen bewegen sich daher oft im Graubereich und werden nicht von allen gleich aufgefasst. Kommt es zu einer Grenzüberschreitung, ist es betroffenen Person sehr oft nicht leicht, ihre Missbilligung zum Ausdruck zu bringen. Eine zusätzliche Herausforderung stellt die Situation dar, in der das fehlbare Verhalten von anderen Mitarbeitenden nicht als sexistisch oder belästigend aufgefasst wird. Betroffene sollten aber zunächst darüber im Klaren sein, dass jede Person ihre persönlichen Grenzen selbst zu definieren und Anspruch darauf hat, in einem belästigungsfreien Arbeits-klima tätig zu sein. Im Rahmen eines kleinen fachlichen Auftrags verrichten sie ihre Arbeit und stehen für keine anderen Dienste zur Verfügung. Sie respektieren die Kundschaft, und die Kundschaft muss sie auch respektieren.

Einige kraftvolle und erprobte Merksätze helfen den Betroffenen dabei: Mein Gefühl gilt, und meine Empörung ist berechtigt. Auch Worte können zu viel sein. Ich kann freundlich sein und mich trotzdem vom unerwünschten Verhalten klar abgrenzen.

In einer heiklen Situation ist es für Betroffene zudem empfehlenswert, der belästigenden Person eine Grenze zu setzen und ihr mitzuteilen, dass ihr Verhalten unerwünscht ist, beispielsweise mit klaren und unmissverständlichen Sätzen wie: „Nein. Das war mir sehr unangenehm. Bitte machen Sie das nicht mehr!“ – „Stopp. Das möchte ich nie wieder hören!“ Sehr oft sind Betroffene in einem solchen Moment aber zunächst schockiert, perplex und können nichts sagen. Um eine Grenze zu ziehen und etwas Zeit zu gewinnen, können sie in einem solchen Fall auf der Stelle den Raum verlassen und später zurückkehren, vielleicht zusammen mit einer anderen Fachkraft oder der Leitung.

Selbst wenn die Abgrenzung aus eigener Kraft erfolgreich verlaufen ist, ist es sinnvoll, Belästigungen bei den Vorgesetzten zu melden. Wie oben beschrieben, haben diese die gesetzliche Pflicht, alle Mitarbeitende vor belästigendem Verhalten zu schützen, egal von wem dieses ausgeht.

Anlaufstellen und Angebote

Konfliktsituationen selbst zu regeln, gibt ein gutes Gefühl. Manchmal fehlt uns aber die Kraft dazu, oder die Bemühungen bleiben wirkungslos. In diesem Fall sollten sich Betroffene Hilfe holen. Sie können sich zunächst von einer Fachstelle vertraulich beraten lassen. Anlaufstellen finden Sie hier:

www.belaestigt.ch/anlaufstellen

Auf dem Portal belästigt.ch sind zudem anonyme Online-Beratungen bei Vorfällen von sexueller Belästigung immer möglich.

Foto: Fabiola Risi
Foto: Fabiola Risi

Erfahrungsbericht

Fabiola Risi ist eine junge, ehrgeizige Kosmetikerin mit ihrem eigenen Institut, dem „Schönheitsatelier“ in Beckenried im Kanton Nidwalden. In ihren mehr als 16 Jahren als Kosmetikerin hat sie leider auch einige negative Erfahrungen mit männlichen Kunden gesammelt. Um auf diese

Problematik aufmerksam zu machen, hat sie sich dafür entschieden, Ihnen ihre Geschichte zu erzählen. Meine Güte, ich sitze vor meinem Laptop, schreibe diese Zeilen, und mein Kopf rattert.
Wo soll ich anfangen? Finde ich die richtigen Worte? Eines vorweg: Mein Bericht soll nicht dazu dienen, die Männerwelt schlechtzureden – selbstverständlich sollen hier nicht alle Männer über einen Kamm geschert werden!

Vielmehr möchte ich ein Thema ansprechen, von dem ich denke, dass es uns alle bereits in irgendeiner Art und Weise im Alltag oder auch im Institut betroffen hat.
Ich möchte gerne meine Erfahrungen mit Ihnen teilen und auf ein Thema aufmerksam machen, das wir vielfach im Alltag weglächeln und bei dem wir uns im Nachhinein immer wieder einreden: „Ach, so schlimm war das doch gar nicht.“ Mit diesem Denkansatz sollte endlich Schluss sein! Und dafür möchte ich mich einsetzen.
Seit über 16 Jahren bin ich nun in unserem wunderbaren Beruf tätig, über sechs Jahre davon bereits selbstständig. In meiner Ausbildung zur eidgenössisch geprüften Kosmetikerin hatte ich einen Praktikumsplatz in einem Wellnesscenter in Bad Ragaz und auch nach meiner Ausbildung war mein erster Job in Österreich in einem Wellnesshotel. Was zunächst toll klingt, war leider nicht immer so schön: Belästigungen aller Art waren leider Alltag. Die Kunden überschritten Grenzen ganz unterschiedlich:  Vom Versuch, anzügliche und flirty Gespräche zu führen, bis hin zum Potätscheln und Onanieren während oder nach der Behandlung war alles dabei. Meine Reaktion darauf? Ich lächelte verlegen und suchte möglichst schnell das Weite.

Damals war ich noch keine 20 und mit der Situation logischerweise völlig überfordert. Gespräche mit den Chefinnen führten zu nichts, eher das Gegenteil war der Fall. Ich hatte das Gefühl, meine Erzählungen wurden eher verharmlost: „Ach, das hast du sicherlich falsch verstanden“, oder „...kann ich mir nicht vorstellen, XY ist doch so ein guter Kunde von uns.“ waren die Reaktionen. Auch als ein Hotelgast in Österreich wollte, dass ich ihm im privaten Rahmen eine Massage mache, war die Reaktion eher verhalten. Rückblickend finde ich das unglaublich. Damals – noch jung und unsicherer – blieb ich still und habe die Situation akzeptiert. Ich redete mir ein, die Situation in einem Wellnesshotel sei einfach speziell, weshalb sich die Kunden dort einfach mehr erlauben. Schliesslich sieht man diese Herren nach den Behandlungen in den meisten Fällen nie mehr wieder. Also dachte ich: Fertig mit Wellnessjobs, ich möchte in einem klassischen Institut arbeiten. Es folgte ein Wechsel des Arbeitsplatzes, doch an der Situation änderte sich leider nichts.

Was ich tat? Ich akzeptiere aufs Neue und versuchte wieder, alle unangenehmen Fragen oder unangebrachte Komplimente wegzulächeln. Auch in meinem eigenen Institut hatte ich vereinzelnd immer wieder solche Vorfälle, bis ein schwerwiegender Vorfall mich zu einem endgültigen Schritt bewog: Ich habe für mich entschieden, ich behandle keine Männer mehr! Schluss, aus! Ich kann Ihnen sagen, ich lebe nun leichter und habe den Spass an meiner Arbeit wiedergefunden. Ich wache nicht mehr mit Bauchschmerzen auf und muss mich nicht mehr von solchen Situationen beherrschen lassen.

Natürlich muss es nicht so weit kommen. Es gibt auch viele nette, anständige Männer da draussen, die zur Kosmetikerin gehen, weil sie etwas für sich tun und ihre Haut pflegen möchten. Für mich war es leider der einzige Ausweg, da ich alleine arbeite, ohne Angestellte. Ohne jemanden, den ich rufen könnte, wenn ich Hilfe brauche.

Was kann man gegen sexuelle Belästigung im Institut tun?
Das Allerwichtigste vorweg! Bitte reden Sie die Situation sich selbst gegenüber nicht klein. Diesen Fehler habe ich zu Beginn immer wieder gemacht. Ich traute mich nicht, darüber zu sprechen, also habe ich die Situation kleingeredet: „Ist ja alles nicht so schlimm …“ DOCH, IST ES! Daher mein wichtigster Ratschlag an Sie: Sprechen Sie darüber!
Als Angestellte: Gehen Sie zu Ihren Vorgesetzten, sprechen Sie die Problematik an! Finden Sie gemeinsam Lösungen, suchen Sie zusammen das Gespräch mit dem Kunden. Geben Sie einen Warnschuss ab. Bessert sich die Situation nicht?  Verweigern Sie als Angestellte, diesen Kunden weiterzubehandeln.
Als Chefin: Nehmen Sie Ihre Angestellten ernst und erteilen Sie Hausverbot.

Einige von Ihnen denken sich jetzt bestimmt: „Ja muss man denn gleich so weit gehen?“ Ich sage aus eigener Erfahrung: Ja. Nur weil wir in einer Dienstleistungsbranche tätig sind, müssen wir uns nicht alles gefallen lassen!

Prävention für Unternehmen

Das Angebot für Unternehmen zur Prävention von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz „KMU konkret+“

Das Projekt bezweckt, das Bewusstsein von Kader und Mitarbeitenden in KMUs im Umgang mit dem Thema „sexuelle Belästigung“ zu trainieren und Unsicherheiten und Tabus abzubauen. Betriebe können so präventiv aktiv werden, ihrer gesetzlichen Pflicht nachkommen und ihre Attraktivität auf dem Arbeitsmarkt steigern. Dies gilt insbesondere auch für Unternehmen im Beauty-Bereich.

Das Angebot wird seit Herbst 2021 von einem professionellen Schulungsteam durchgeführt und besteht aus drei Teilen: Zunächst wird je eine Weiterbildung für Führungskräfte und eine Weiterbildung für Mitarbeitende im Präsenzstil mit Theaterszenen durchgeführt. Zur nachhaltigen Verankerung wird in einer dritten Sequenz ein betriebsinternes Reglement erarbeitet oder – falls bereits vorhanden – überprüft und gegebenenfalls überarbeitet. Bei Unternehmen mit weniger als fünf Führungskräften können die beiden Weiterbildungen in eine dreistündige Veranstaltung für alle zusammengelegt werden.

Mit einem finanziellen Beitrag zwischen CHF 200 und 1‘000 – je nach Grösse – können Betriebe dabei sein. Der grössere Anteil der Kosten wird durch Finanzhilfen des Bundes nach dem Gleichstellungsgesetz gedeckt.

Zur Webseite des Angebots: www.kmukonkret.ch

Foto: Aner Voloder
Foto: Aner Voloder

Aner Voloder

Der Autor ist Jurist und Projektleiter bei der Fachstelle für Gleichstellung der Stadt Zürich.

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