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Foto: Prostock-Studio/shutterstock.com
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Interview – Welche Trends und Veränderungen werden die Zukunft der Beauty-Branche prägen? BEAUTY FORUM wagt einen Blick in die Zukunft im Gespräch mit Michele Superchi, Global Performance Executive von Beautystreams, einer Plattform, die weltweite Trends sowie Konsumentenbedürfnisse im Beauty-Sektor erforscht.

BEAUTY FORUM: Was macht die Beauty-Branche in Ihren Augen so besonders?

Michele Superchi: Als ich vor fast sechs Jahren zu Beautystreams kam, war die Beauty-Branche Neuland für mich. Was mich an dieser Branche am meisten berührt hat, ist wie dynamisch und vielseitig sie ist. Ich entdeckte schnell, dass die Schönheitsindustrie nicht oberflächlich ist, sondern einen Beitrag zu den grundlegenden psychologischen Bedürfnissen nach Wohlbefinden und Selbstermächtigung leistet. Diese wesentliche Rolle wurde durch die COVID-19-Krise hervorgehoben. Die Krise zeigte auch, dass die Beauty-Industrie in der Lage war, sich schnell anzupassen und zur Lösung der sanitären Krise beizutragen, indem sie zur Produktion von Desinfektionsmitteln beitrug. Heute sehen wir, dass sogar Kategorien wie dekorative Kosmetik und Parfüm, die man als nicht essenziell ansehen könnte, für viele Verbraucher unverzichtbar sind, da sie Momente des Träumens ermöglichen und auch das Selbstwertgefühl verbessern.  

Welche drei grossen Trends werden in den nächsten Jahren auf uns zukommen?

Der erste grosse Trend, der durch die aktuellen gesellschaftlichen Veränderungen beschleunigt wurde, sind Homeoffice-Arbeitsstile, die einen Bedarf nach Abschaltritualen schaffen. Auch wenn die Ausbreitung von COVID-19 eingedämmt werden kann, haben viele Firmen und Konzerne weltweit angekündigt, dass sie hybride Arbeitsstile beibehalten werden.
Laut der Openstreams Foundation, einer gemeinnützigen Organisation, die von Beautystreams im Jahr 2019 gegründet wurde, hat eine Umfrage unter Fachleuten, die im November 2020 in 13 Ländern in der Beauty-Branche arbeiteten, ergeben, dass 71 Prozent der Befragten weiterhin zumindest teilweise von zu Hause aus arbeiten möchten. Es gaben jedoch auch 76 Prozent an, dass ihr Stresslevel steigt, während sie von zu Hause aus arbeiten. Dies zeigt, dass das Bedürfnis nach Entspannungsritualen zunimmt – ein Bedürfnis, das die Schönheitsindustrie ansprechen kann. Stellen Sie sich beispielsweise erschwingliche Selfcare-Parfümrituale vor, die die Produktion von Serotonin, dem „Glückshormon“, oder Oxytocin, dem „Kuschelhormon“, zur Steigerung des Wohlbefindens anregen. Oder dekorative Kosmetika, die nicht nur dafür sorgen, dass man in Online-Meetings besser aussieht, sondern die auch durch sensorische Wohlfühltexturen Freude bereiten.
Ein weiterer grosser Trend, den wir prognostizieren, ist die Zunahme von Kollaborationen zwischen Gaming- und Beauty-Unternehmen als Teil der „Phygitalisierungs“-Bewegung. Da unser Leben zunehmend „phygital“ wird – das bedeutet, dass wir immer fliessender von immersiven digitalen Welten zu hypersensorischen physischen Welten übergehen –, werden Beauty-Produkte benötigt, die für beide Welten ausgelegt sind. Dies wird zum einen zu einer steigenden Nachfrage nach Haut- und Haarpflegeerlebnissen in der physischen Welt und für aussergewöhnliche visuelle Ergebnisse in der digitalen Welt führen. Dadurch entstehen ganz neue Geschäftsmodelle für virtuelle dekorative Kosmetik und Frisuren. Natürlich wird die „Phygitalisierung“ unseres Lebens auch neue Bedürfnisse beim Einkaufen schaffen. Während der E-Commerce weitgehend angepasst wird, um den bequemen Einkauf von Basics zu ermöglichen, wird der stationäre Handel eher erlebnisorientierte und gemeinschaftsbildende Funktionen übernehmen.  
Der dritte Trend, von dem wir glauben, dass er grössere Ausmasse annehmen wird, ist die ethisch korrekte Bewegung. Sie fügt dem bereits vorherrschenden Clean-Cosmetic-Trend eine neue Dimension und Tiefe hinzu. Während die Verbraucher früher ausschliesslich auf die Zusammensetzung und Herkunft eines Produkts achteten, um dessen Reinheitsgrad zu definieren, werden heute und in Zukunft immer mehr Verbraucher auf das Unternehmen achten, das hinter den Produkten steht. Und auch darauf, wie dieses Unternehmen seine Mitarbeiter behandelt und wer Teil der gesamten Lieferkette ist.
Anstatt nur auf die Reduzierung des CO2-Fussabdrucks und andere nachhaltige Massnahmen zu achten, muss ein Unternehmen in allen Aspekten ein tadelloses ethisches Verhalten zeigen.

„Die Krise, die im Jahr 2020 ihren Anfang nahm, hat das Verhalten und die Ansprüche für immer verändert, und dies wird Bedürfnisse schaffen, die die Schönheitsindustrie adressieren muss.“

Wie genau entsteht eigentlich ein Trend?

Wie alle Trends, haben die grossen Bewegungen der nächsten Jahre ihre Wurzeln in der Gegenwart. Zum Beispiel hat die Krise, die im Jahr 2020 ihren Anfang nahm, das Verhalten und die Ansprüche für immer verändert, und dies wird Bedürfnisse schaffen, die die Schönheitsindustrie adressieren muss.
Bei Beautystreams arbeiten wir mit der „Trend Funnel Methodik“. Das bedeutet, dass wir uns zunächst die grossen gesellschaftlichen und verhaltensbezogenen Veränderungen ansehen, die die nächsten fünf Jahre beeinflussen werden. Daraus ziehen wir dann Schlussfolgerungen und Implikationen für die Schönheitsindustrie.
Um unsere Prognosen zu treffen, haben wir das Beautystreams Zukunftskollektiv gegründet, eine Gruppe von hochrangigen Experten aus verschiedenen Bereichen wie Biotechnologie, Dermatologie, Medizin, Kunst, Design, Kommunikation und Soziologie, um nur einige zu nennen. Bei regelmässigen Treffen entsteht so eine umfassende Zukunftsvision. Die Schlussfolgerungen dieser Meetings bilden dann die Basis für unsere Prognosen.
Zusätzlich gibt es den Effekt der selbsterfüllenden Prophezeiung, den wir in den vergangenen fünf bis sieben Jahren beobachten.  Beautystreams hat sich seit seiner Gründung im Jahr 2010 dank seiner Mitglieder als globale Referenz für die Schönheitsindustrie etabliert. Dank seiner Mitglieder auf sechs Kontinenten, darunter die grossen globalen Konzerne wie L‘Oréal, Estée Lauder, AmorePacific, Shiseido, LVMH, Unilever, usw., sind wir in der Lage, nicht nur Trends zu antizipieren, sondern auch Ideen im Herzen der Schönheitsindustrie zu pflanzen, die zu grösseren Trends heranwachsen. Als wir beispielsweise als erstes Trend-Insights-Unternehmen im Jahr 2015 dekorative Kosmetik und Haarfarbe nach Hautton auf den Markt brachten und lokale Farbanpassungen, basierend auf physischen und kulturellen Unterschieden, empfahlen, gab dies Unternehmen auf der ganzen Welt das Selbstvertrauen, sich für echte Inklusivität einzusetzen, was zu einer positiven internationalen Bewegung wurde.

Wie hat sich der Beauty-Markt in den vergangenen zehn Jahren verändert?

Anlässlich unseres 10-jährigen Jubiläums im Jahr 2020 haben wir ein öffentliches Webinar darüber begonnen, wie sich der Beauty-Markt von 2010 bis 2020 verändert hat. Auf unserer öffentlichen Beautystreams Event-Website steht es frei zur Verfügung.
Es gibt viele Trends, die im Laufe der Jahre aufgetaucht und verblasst sind, aber die Innovation, die die Branche im letzten Jahrzehnt am meisten beeinflusst hat, sind die sozialen Medien. Sie gaben den Konsumenten und ihren Vertretern, den Influencern, eine lautere Stimme. Am Anfang wurden diese Stimmen von der Kosmetikindustrie kritisch betrachtet, da sie als unprofessionell galten, aber sie entwickelten sich schnell zu einem grossartigen Kommunikationsmittel und auch zu einem Werkzeug, um die Meinungen der Verbraucher zu verstehen und zu berücksichtigen.

Gibt es eine Entwicklung im Beauty-Markt, die Ihrer Meinung nach überfällig ist und auf die Sie sich besonders freuen?

Auch wenn es noch viel zu tun gibt, sind die Body-Positivity- und die True-Inclusivity-Bewegung, Entwicklungen, die wir bei Beautystreams besonders schätzen. Die Zeiten, in denen genormte Schönheitsideale wenige Ausprägungen von Schönheit zuliessen, verblassen endlich und weichen individueller Schönheit.
Die Tatsache, dass die Verbraucher dank der sozialen Medien eine lautere Stimme und mehr Sichtbarkeit haben, hat diese Bewegungen beschleunigt.
Das Interview führte Jaqueline Kramer.

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MICHELE SUPERCHI
ist Global Performance Executive bei der Insight-Plattform Beautystreams und einer der wichtigsten Ansprechpartner für Trends und Analysen in der
Beauty-Industrie. www.beautystreams.com

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